Vom Wert der Sonn- und Feiertage

S eit Jahren wird in Deutschland darüber gestritten, ob und wann an Sonntagen die Läden geöffnet werden dürfen und was an gesetzlichen Feiertagen erlaubt ist und was nicht. Seitens des Einzelhandels gibt es immer wieder Initiativen, die gesetzlich erlaubten Ladenöffnungszeiten auszuweiten und mehr verkaufsoffene Sonntage zuzulassen. Nun gibt es seit der Föderalismusreform 2006 in jedem Bundesland andere Regelungen für den Ladenschluss.

Die strengsten Vorgaben gelten in Bayern, die liberalsten in Berlin. Während im Freistaat Bayern die Geschäfte maximal von 6 bis 20 Uhr an Werktagen und maximal vier verkaufsoffene Sonntage pro Jahr möglich sind, gestattet das Land Berlin die Ladenöffnung rund um die Uhr und bis zu zehn verkaufsoffene Sonntage im Jahr. Die Kirchen kämpfen in seltener Einmütigkeit mit den Gewerkschaften gegen jede Aufweichung des Sonntagsschutzes.

Die als sogenannte „stille Tage“ definierten Feiertage, wie z. B. der Karfreitag oder das Allerheiligenfest, sehen sich Anfeindungen von Atheisten ausgesetzt, die die an diesen Tagen geltenden Regularien zur Wahrung der Ruhe beseitigen möchten. Die stillen Feiertage an sich möchten sie interessanterweise nicht abschaffen. Vor einigen Tagen hat sich eine Vereinigung von Atheisten vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten, dass das Tanzverbot am Karfreitag nicht mehr ausnahmslos gelten darf.

Während die Ladenöffnungszeiten schon vor Jahren ausgeweitet wurden, steht nun die Verwässerung der bislang vor allem in Bayern strengen Vorschriften zum Schutz der stillen Feiertage bevor. All dies sind Mosaiksteine einer fortschreitenden Erosion christlicher Kultur in Deutschland aber auch unbeabsichtigt eine Infragestellung der religiösen Feiertage an sich.

Ihrem Ursprung nach beruht die Arbeitsfreiheit an allen Sonn- und Feiertagen nämlich nur auf der Schaffung der Möglichkeit zur Religionsausübung und zur Erholung. Der gesellschaftliche Wandel und die fortschreitende Säkularisierung in den westlichen Ländern stellen diese Sinngebung zunehmend infrage. Das Grundgesetz von 1949 hat Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wortgleich übernommen. Darin heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

In seinem noch immer aktuellen Kommentar „Lob des Sonntags“ hat Heribert Prantl am 19.11.2007 in der Süddeutschen Zeitung folgendes geschrieben:

Es geht bei dem Vorhaben, den Sonntag zu retten, nicht nur um Tradition; es geht nicht nur um Religion, nicht nur um den „Tag des Herrn“. Es geht um einen zentralen Wert von Kultur und Gemeinschaft. Der Sonntag, der für die Kirchen ein Tag der religiösen Erhebung und für die Gewerkschaften eine soziale Einrichtung ist, dieser Sonntag ist auch ein Tag der Synchronisation der Gesellschaft. Ein Sonntag ist also ganz etwas anderes als der freie Tag für einen Einzelnen. Es gilt, den Sonntag als den gemeinsamen Ruhe-, Erholungs- oder Erbauungstag der Gesellschaft zu sichern: Wenn aus dem Sonntag ein individuell gleitender Tag wird, ist jeder Tag Werktag. Dann verschwindet der Fixpunkt der Woche. Natürlich hat es immer Ausnahmen vom Gebot der Sonntagsruhe gegeben – das muss so sein, weil der Sonntag nun einmal für den Menschen da ist, nicht der Mensch für den Sonntag. Und natürlich ist Sonntagsarbeit in bestimmten Berufen notwendig; das stört den Grundrhythmus der Zeit nicht, den der Sonntag vorgibt. Eine generelle Öffnung der Geschäfte macht aber aus den Ausnahmen eine Regel; es verändert dann auch das generelle Bild des Sonntags. Auf den ersten Blick mag ja die Möglichkeit zum großen Sonntagseinkauf verbraucherfreundlich sein. Das wird aber nicht so bleiben: Wer heute sonntags einkaufen will, wird morgen sonntags auch arbeiten müssen. Die Ökonomisierung des Sonntags hört nämlich, wenn ihr einmal die Ladentüren aufgemacht worden sind, nicht in den Warenhäusern auf.“

Ähnliches gilt für die gesetzlichen Feiertage. Hier gibt es immer wieder Initiativen zur Abschaffung einzelner religiöser Feiertage die in der Regel ökonomisch begründet werden. Diese Argumente sind jedoch nicht stichhaltig, wenn man die Feiertagslandkarte in Deutschland näher betrachtet. Das wirtschaftsstärkste Bundesland Bayern hat pro Jahr bis zu 14 gesetzliche Feiertage, wohingegen der wirtschaftsschwache Stadtstaat Bremen nur neun arbeitsfreie Feiertage kennt. Wirtschaftliche Prosperität und Anzahl der Feiertage stehen also in keinem Zusammenhang.

Die Ordnung des Lebens im Jahres- und Wochenlauf sind für jeden Menschen eminent wichtig. Die Abfolge von Fest- und Arbeitszeiten ist für sinnerfülltes menschliches Leben schlechterdings unabdingbar. Einzelnen Tagen ein besonderes Gepräge zu geben, tut uns gut. Am Beispiel des Weihnachtsfestes, das in jeder Familie eine eigene Tradition hervorgebracht hat, wird dies besonders plausibel.

Heribert Prantl formuliert es in seinem eingangs erwähnten Kommentar so: „Die Sonn- und Feiertage sind Spuren des Heiligen in der Moderne. Es mag sein, dass das nicht mehr sehr viele Menschen spüren. Das macht nichts, sie sind trotzdem da. Jeder muss selbst wissen, wie Regeneration für ihn ausschaut. Für die meisten Deutschen ist der Sonntag nicht mehr der Tag des Gottesdienstes. Aus einem Tag, der den Christen als Tag der Erhebung über den Alltag gilt, ist überwiegend ein Tag der Erholung vom Alltag geworden.“

In jedem Fall ermöglicht der Sonntag als Ruhetag das Leben wesentlicher gesellschaftlicher Werte. Er ermöglicht das Verbringen gemeinsamer Zeit mit der Familie jenseits von Konsum und Geschäftigkeit, er ermöglicht Ruhe, Erholung und Neujustierung und gibt demjenigen, der darauf Wert legt, die Möglichkeit zur Religionsausübung. Der 1894 in Budapest geborene österreichisch-ungarische Schauspieler Paul Hörbiger hat einmal gesagt: „Erholung besteht nicht im Nichtstun, sondern in dem, was wir sonst nicht tun.“.

Der Schutz und die lebendige Tradition der Sonn- und Feiertage sind gleichwohl konstitutiv für eine Gesellschaft. Sie stiften Identität und sind zumeist Ausfluss unseres christlich-abendländischen Erbes, das die Nationen Europas über Jahrhunderte geprägt hat. Das leichtfertige Aufgeben derselben ist daher sträflich. Begreifen wir wieder neu, welchen Schatz diese kulturelle und religiöse Formung unseren Gesellschaften überliefert und anvertraut hat!

Georg Frankenfeld, 05.12.2016

tabs-top
More in Germany
Bayern und Ungarn – Schlaglichter aus mehr als 1000 Jahren Geschichte

Kein deutsches Bundesland hat so enge und weit zurückreichende Beziehungen zu Ungarn wie Bayern. Die historischen Verflechtungen reichen mehr als...

Close