Europas Bruderkrieg 1914-1918.

Gedanken zu einer Ausstellung im Budaer Várkért Bazár

Seit dem sich der Beginn des 1. Weltkriegs im Jahr 2014 zum hundertsten Mal jährte, ist dieses Thema wieder ins öffentliche Interesse gerückt. Zahlreiche Ausstellungen, Konferenzen und Bucherscheinungen begleiten die neu entflammte Diskussion zu den Ursachen und Auswirkungen der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts (George F. Kennan, 1979)”.

Der Besuch einer Ausstellung zum 1. Weltkrieg im Budaer Várkért Bazár im April 2017 hat mich veranlasst, nachfolgende Gedanken zu diesem Themenkomplex niederzuschreiben. Der Várkért Bazár, dieser Komplex am Fuße der Budaer Burg umfasst den namensgebenden Burggarten sowie einige orientalisch anmutende Gebäude. Im Jahr 2014 wurde der Bau, den Budapest auch seinem großen Architekten Miklós Ybl zu verdanken hat, restauriert wiedereröffnet. Das orientalische Gepräge mutet wie eine Remineszenz an die Zeit der osmanischen Besetzung Ungarns (1526-1687) an. Der Bazár beinhaltet ein ausgezeichnetes Museum, das noch bis Ende 2017 eine Ausstellung zum 1. Weltkrieg aus ungarischer Sicht bzw. aus Sicht der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie zeigt. Das Museum ist bequem mit dem Schiff oder zu Fuß in wenigen Minuten vom Adam-Clark-Platz am Budaer Ende der Kettenbrücke zu erreichen. Zwei überlebensgroße Figuren von Weltkriegssoldaten machen die Besucher auf den Eingang aufmerksam.

Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Stockwerke, die sich dem Thema auf unterschiedliche Weise nähern. Während der im Erdgeschoß befindliche Hauptteil der Ausstellung sich in globalem Anspruch den Ursachen des Krieges, dem Leben während des Krieges in der Heimat und an der Front sowie den Auswirkungen widmet, stellt der zweite Ausstellungsteil in der 1. Etage unter dem Titel „Die Kriegsherren“ die handelnden Staatsmänner wie den österreichischen Kaiser Franz Joseph I., den deutschen Kaiser Wilhelm II. oder den russischen Zaren Nikolaus II. hinsichtlich ihrer Biographie und ihrer Handlungen vor und während des Krieges vor. Insbesondere dieser Teil der Ausstellung ist besonders bemerkenswert, weil der persönliche Ansatz, Geschichte zu erzählen, neue Perspektiven eröffnet.

Wenden wir uns aber zunächst dem Hauptteil der Ausstellung zu: Der erste Raum, den der Besucher betritt, stellt in äußerst anschaulicher Weise den Weg aus der Welt des Friedens in die Welt des Krieges dar. Entgegen der zu Beginn des Krieges vorherrschenden Meinung, dass es sich nur um einen lokal begrenzten kurzen Waffengang handeln wird, wird bereits in diesem ersten Raum deutlich, dass sich die Welt fundamental verändert hat und große politische und gesellschaftliche Umwälzungen auf die Menschen zukommen. Offensichtlich ist bereits, dass ohne Not und offensichtlichen Kriegsgrund der Frieden geopfert wurde. Die handelnden Akteure schlitterten fahrlässig, ja beinahe ruchlos in einen Krieg, dessen Auswirkungen sie nicht abschätzen, geschweige denn kontrollieren konnten. Diesen (langen) Weg in den Krieg beschreibt der in England lehrende australische Historiker Christopher Clark in seinem 2012 erschienenen Buch “Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog”.1

Clarks Kernaussage besteht darin, dass er im Gegensatz zur vorherrschenden These1 der besonderen Kriegsschuld des Deutschen Kaiserreiches die Mechanismen in allen beteiligten europäischen Ländern nachzeichnet, die zum Ausbruch des Krieges führten. Clark zufolge war der Ausbruch des Ersten Weltkrieges keine Zwangsläufigkeit sondern die Folge einer fehlerhaften bzw. unzureichenden Strategie- und Risikoabwägung in den beteiligten Ländern gewesen.

In einem weiteren Raum werden die Schrecken des Krieges aus medizinischer Sicht dargestellt. Der Raum ist wie ein Schlachthaus gestaltet – ein Bild das sehr gut passt. Der Erste Weltkrieg war – insbesondere dort, wo er in der Ausprägung eines jahrelangen Stellungskrieges stattfand – oft weniger ein Kampf denn ein Dahinschlachten. Der vielbeschriebene „Blutzoll“ war außergewöhnlich hoch. Dieser Krieg war auch der erste Krieg in der Geschichte, der in industrialisierter Form mit Massenvernichtungswaffen einschließlich chemischer Kampfstoffe geführt wurde. Die primitiven Möglichkeiten, die Feldärzten und Krankenschwestern in den Lazaretten zur Verfügung standen und die katastrophalen hygienischen Zuständige fordern zusätzlich tausende Menschenleben.

Ein nachgebauter Schützengraben lässt ansatzweise nachspüren, unter welchen Umständen Frontsoldaten jahrelang vegetieren mussten. Erhaltene Feldpostbriefe erzählen von den Schrecken und den Strapazen, denen die Männer im Feld über Jahre ausgesetzt waren. Aber sie sind gleichzeitig auch anrührende Dokumente, die Familie zu Hause nicht zu sehr zu beunruhigen. Vieles Erlebte bleibt unausgesprochen…

Auch Waffen, Propagandamaterialien und Kriegsdevotionalien werden gezeigt. Dem Besucher wirdnahegebracht, wie mit Mitteln der psychologischen Kriegsführung der Durchhaltewillen gestärkt werden sollte. Die Gegner wurden als „Wilde“, „Unmenschen“ und „Monster“ dargestellt, die unter Aufbietung aller Ressourcen und Erbringung aller erdenklichen Opfer auch seitens der Zivilbevölkerung besiegt werden mussten. Nach dem Motto „Wehe den Besiegten!“ wurde gezielt Angst geschürt – Methoden, die auch während des Zweiten Weltkriegs angewandt wurden.

Die Ausstellung mündet schließlich in einem weißen Gräberfeld. Exemplarisch für viele Millionen Tote wurden hier auf weißem Boden weiße Kreuze aufgestellt, die mit Namen versehen sind. Die Toten mahnen zu Frieden und Versöhnung…

Wie eingangs erwähnt, befindet sich im ersten Stockwerk des Museumsgebäudes der zweite Teil der Ausstellung. Tritt man ein, findet man die „Kriegsherren“ an einem Tisch vor. Die wesentlichen handelnden Akteure des ersten Weltkriegs werden hier erstmals vorgestellt. Die diesen Raum umgebenden Räume sind je einem „Kriegsherr“ gewidmet. Diese werden dort als Puppe in ihrer Umgebung dargestellt. So wurde z. B. das Arbeitszimmer von Kaiser Franz Joseph I. in Schloss Schönbrunn in Wien nachgebaut. Der Kaiser sitzt dort in typischer Haltung am Schreibtisch über viele Akten gebeugt. Der russische Zar Nikolaus II. wiederum ist inmitten seiner Familie im St. Petersburger Winterpalast in Gesellschaft des umstrittenen Wanderpredigers Grigori Rasputin dargestellt. In einer ihrer Lebensweise gemäßen Haltung werden auch die anderen Staatenlenker zur Zeit des Krieges gezeigt. Der Besucher erfährt die wesentlichen Meilensteine ihrer Biographie mit besonderem Augenmerk auf ihr Verhalten vor und während des Krieges sowie auf ihr Schicksal danach.

Im Mittelpunkt des Interesses steht naturgemäß Kaiser Franz Joseph I. von Österreich (geb. 1830 auf Schloss Schönbrunn, Kaiser von Österreich seit 1848, König von Böhmen und seit 1867 auch König von Ungarn). Franz Joseph I. erklärte den Krieg an Serbien 1914 nach dem Attentat auf Erherzog-Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este und seine Frau Sophie Herzogin von Hohenberg (geb. Gräfin von Chotek) hochbetagt im Alter von 84 Jahren. Im weiteren Verlauf des Krieges gewinnt der österreichische Generalstab um Franz Graf Conrad von Hötzendorf mehr Einfluss. Großer Gegenspieler der Kriegsführung und der Kriegsziele Hötzendorfs war der ungarische Ministerpräsident Graf István Tisza.

Dieser war bereits im Juli 1914 gegen die Kriegserklärung durch die Monarchie. Eine für 1917 geplante Friedensinitiative Kaiser Franz Josephs konnte nicht mehr verwirklicht werden; der alte Kaiser starb am 21. November 1916 auf Schloss Schönbrunn. Sein Neffe und Nachfolger Kaiser Karl I. (in Ungarn König Karl IV., 1887-1922, 1916-1918 Kaiser von Österreich und König von Ungarn, seliggesprochen 2004 von Papst Johannes Paul II.) konnte seine Friedensbemühungen ebenfalls nicht zum Erfolg führen. Durch den verlorenen Krieg zerfiel die Donaumonarchie im November 1918 und es endete nach 640 Jahren die Herrschaft des Hauses Habsburg über Österreich.

Der Rundgang durch beide Ausstellungsteile ist sehr aufschlussreich und zeigt auch dem informierten Besucher neue Facetten zu diesem großen Themenkomplex auf. Es wird auf hervorragende Weise ein Abschnitt unserer gemeinsamen europäischen Geschichte erfahrbar gemacht, der unserer Erlebenswelt schon weit in geschichtliche Sphären entrückt ist. Gleichwohl haben die damaligen Ereignisse und die im Anschluss an den Krieg erfolgte Neuordnung Europas bis heute Auswirkungen auf uns. Durch die Pariser Vorortverträge von 1919 und 1920 – erwähnt seien hier der Vertrag von Versailles 1919 in Bezug auf Deutschland, der Vertrag von Saint Germain 1919 in Bezug auf Österreich und der Vertrag von Trianon 1920 in Bezug auf Ungarn – wurde der Krieg formal beendet. Der Zweite Weltkrieg und viele weitere europäische Konflikte im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts und bis heute gründen auch auf den damals gefassten Beschlüssen. Führen wir uns die damaligen Ereignisse abermals vor Augen und ziehen wir die richtigen Schlüsse für unser Handeln heute.

Georg Frankenfeld

1., Christopher Clark: „The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914.“ Allen Lane, London 2012; Deutsche Fassung: „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog.“ Deutsche Verlagsanstalt, München 2013

2., Im Gegensatz zu Clark vertrat der Hamburger Historiker Fritz Fischer in seinem 1961 erschienen Buch „Griff nach der Weltmacht“ die These, dass der Ausbruch des 1. Weltkrieges Ausfluss einer langfristigen Kontinuität deutscher Hegemonialpolitik war und dem Deutschen Kaiserreich deshalb eine besondere Schuld am Ausbruch des Krieges zukam. Dieser These wurde heftig widersprochen; es entstand ein Historikerstreit, die sog. „Fischer-Kontroverse (1962-1970/71). Auch namhafte Politiker wie Ludwig Erhard (CDU), Franz Josef Strauß (CSU) und der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) bezogen gegen Fischer Position (https://de.wikipedia.org/wiki/Fischer-Kontroverse).

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