Bayern und Ungarn – Schlaglichter aus mehr als 1000 Jahren Geschichte

Kein deutsches Bundesland hat so enge und weit zurückreichende Beziehungen zu Ungarn wie Bayern. Die historischen Verflechtungen reichen mehr als 1000 Jahre zurück. Bis heute verbindet Bayern und Ungarn viel. Neben politischen und wirtschaftlichen Verbindungen sind nicht zuletzt die kulturellen Gemeinsamkeiten zu nennen, die sich in den vergangenen Jahrhunderten ausgeprägt haben.1 An ihnen lässt sich exemplarisch auch europäische Geschichte und mithin Identität darstellen. Selbstverständlich können die zahllosen historischen Ereignisse zwischen Bayern und Ungarn in einem kurzen Artikel nicht dargestellt werden. Aus diesem Grund hat sich der Verfasser entschieden, einige besondere Ereignisse der gemeinsamen Geschichte hier abrisshaft darzustellen.

Die Ungarneinfälle – erste, blutige Zusammentreffen von Ungarn und Bayern

Vor ihrer Sesshaftwerdung unternahmen die magyarischen Reiterhorden einige verheerende und blutige Beutezüge westlich der pannonischen Tiefebene. Spätestens im Jahr 899 fielen sie auch im damaligen Herzogtum Bayern ein. Nach mehreren Schlachten erlitt das bayerische Heer im Jahr 907 in der Schlacht von Pressburg (Bratislava) eine vernichtende Niederlage. Unter anderen fielen Markgraf Luitpold von Bayern und Bischof Udo von Freising.

Den endgültigen Wendepunkt brachte der 10. August 955. Auf dem Lechfeld bei Augsburg konnte eine Phalanx um Kaiser Otto den Großen das ungarische Reiterheer schließlich besiegen. Dieses Datum gilt als der Endpunkt der Ungarneinfälle. Für die Ungarn bewirkte der katastrophale Ausgang der Schlacht eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Nachdem die Klasse der Reiterkrieger empfindlich an Macht eingebüßt hatte, vermischten sich die Magyaren mehr und mehr mit den ansässigen Slawen und wurden sesshaft. Sie räumten die Gebiete im heutigen Österreich und zogen sich ins heutige Westungarn zurück. Großfürst Géza bat Otto um Missionare und entmachtete den alten Kriegeradel, die Gegenpartei der Árpáden.2

König Stephan I. von Ungarn – Hochzeit mit Gisela von Bayern

Die fortschreitende Christianisierung Ungarns öffnete den Árpáden die Tür zu den europäischen Herrscherhäusern. Ausgangspunkt hierfür war das Zusammentreffen von Kaiser Otto I. und den Gesandten von Großfürst Géza an Ostern 973 in Quedlinburg. Im Folgejahr ließ Géza sich und seinen Sohn Vajk im schweizerischen St. Gallen taufen. Hier nahm Vajk den christlichen Namen Stephan (István) an.3 Die Hinwendung der magyarischen Herrscherfamilie zum Christentum war schließlich auch ausschlaggebend dafür, dass der bayerische Herzog Heinrich der Zänker das Einverständnis zur Hochzeit zwischen seiner ältesten Tochter Gisela mit dem ungarischen König Stephan I. gab. Gisela wurde 984 oder 985 auf der Burg Abbach bei Regensburg geboren und war erst ca. zehn Jahre alt, als sie Stephan zur Frau gegeben wurde. Nach Stephans Tod 1038 wurde sie verfolgt und gefangen genommen. König Heinrich III. von Deutschland (ab 1046 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) ließ sie 1042 befreien und ermöglichte ihr so die Rückkehr nach Bayern. Dort trat sie in den Benediktinerorden ein und starb als Äbtissin 1060 im Kloster Niedernburg bei Passau.4

Durch die Heirat zwischen Stephan und Gisela war das sich konsolidierende Ungarn bereits ein knappes halbes Jahrhundert nach der Schlacht auf dem Lechfeld mit dem einstigen Feind Bayern dynastisch verbunden.

Befreiung der Burg Ofen (Buda) 1686 mit bayerischer Hilfe

Unternehmen wir nun einen Zeitsprung ins 17. Jahrhundert: Ungarn war seit der ersten Schlacht bei Mohács 1526 von den Osmanen besetzt. Entscheidend die endgültige Vertreibung der Osmanen war unter anderem die Befreiung der belagerten Burg Ofen (Buda) durch ein christliches Heer unter der Führung von Herzog Karl V. von Lothringen. Neben Prinz Eugen von Savoyen, der in habsburgischen Diensten stand, nahm daran auch Kurfürst Maximilian II. Emanuel von Bayern teil. Max Emanuel erwarb sich durch große Tapferkeit den Ruf eines herausragenden Feldherrn.

Am 2. September 1686 kam es zum erfolgreichen Generalsturm auf die Burg Ofen. Prinz Eugen und seine Dragoner waren nicht direkt an der Einnahme beteiligt, sondern sicherten den Rücken ihres Heeres gegen die osmanische Entsatzarmee, welche die Einnahme der Stadt, seit 143 Jahren in osmanischem Besitz, nicht verhindern konnte.5 Wer einmal die ungarische Nationalgalerie in der Budaer Burg besucht hat, kann dort ein beeindruckendes Monumentalgemälde besichtigen, das den Tag nach dem Sieg über die Osmanen darstellt. Herzog Karl V. von Lothringen ist dort ebenso dargestellt wie Prinz Eugen von Savoyen und Kurfürst Maximilian II. Emanuel von Bayern (stets zu erkennen an seiner blauen Uniformjacke; die Osmanen gaben ihm deshalb den Beinamen „Blauer König“).

In der zweiten Schlacht bei Mohács 1687 trug der von Max Emanuel zusammen mit Ludwig Wilhelm von Baden-Baden geführte rechte Flügel zum kaiserlichen Sieg entscheidend bei.6

Königin Elisabeth von Ungarn – wieder trägt eine Bayerin Ungarns Krone

Die bis heute wohl prägendste Identifikationsfigur für Bayern und Ungarn gleichermaßen war Königin Elisabeth von Ungarn, genannt Sisi. Elisabeth Herzogin in Bayern wurde am 24. Dezember 1837 in München geboren und lernte im Jahr 1853 im Bad Ischl ihren Cousin, den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. kennen. Im folgenden Jahr heirateten sie in der Wiener Augustinerkirche. Elisabeth wurde im Jahr 1898 in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet. Die Lebensgeschichte Sisis und Franz Josephs bzw. die sich darum rankenden Mythen sind bis heute sehr bekannt, wozu nicht zuletzt die die Kinofilme Ernst Marischkas aus den 1950er-Jahren beigetragen haben.

Viele Legenden umragen Elisabeth, die im Vergleich zu anderen Frauen ihrer Zeit und Stellung mit Franz Josephs Zustimmung einen äußerst ungewöhnlichen Lebenswandel pflegen konnte. Als gesichert jedoch kann gelten, dass Elisabeth von Beginn ihrer Zeit in Wien an eine große Freundin Ungarns war. Ihre Hofdamen stammten meist aus dem ungarischen Adel – zum Missfallen der Wiener Hofgesellschaft. In kürzester Zeit erlernte sie die ungarische Sprache und hielt sich zeitlebens oft und gern in Ungarn auf – bevorzugt in Schloss Gödöllő vor den Toren Budapests. Als einzige wesentliche politische Initiative der Kaiserin gilt das Betreiben des Ausgleichs zwischen dem Haus Habsburg und Ungarn 1867. Von ungarischer Seite wurde der Ausgleich von Graf Gyula Andrássy und Ferenc Deák vorbereitet und forciert. Als Endpunkt der Aussöhnung des österreichischen Kaisertums mit Ungarn nach dem Zerwürfnis der Revolution 1848 gilt die Krönung Franz Josephs und Elisabeths zum König und zur Königin Ungarns am 8. Juni 1867 in der Budaer Matthiaskirche. Gleichzeitig ist dies die Geburtsstunde der sogenannten Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.7

Ungarisch-bayerische Verflechtungen im 20. und 21. Jahrhundert

munchen_panoramaDer 1. Weltkrieg und das Ende der Monarchien in Österreich-Ungarn wie in Bayern im November 1918 waren für beide Nationen gleichermaßen eine Zäsur. Während Ungarn die Realunion mit Österreich auflöste und formal Königreich blieb, das von Reichsverweser Ritter Nikolaus Horthy von Nagybánya autokratisch regiert wurde (dem gekrönten König Karl IV. wurde zweimal die Rückkehr auf den ungarischen Thron verwehrt), entstand aus dem vormaligen Königreich Bayern der Freistaat Bayern, der weiterhin Teil des Deutschen Reiches blieb.

Die ehemalige Herrscherfamilie Wittelsbach wurde nach 738 Jahren abgesetzt. Der letzte bayerische König Ludwig III. verstarb 1921 in Schloss Nádasdy im ungarischen Sárvár. Nach dem Ende des Kaiserreichs wurde aus dem Deutschen Reich eine Republik, deren innerer Friede während ihrer gesamten Existenz bis 1933 fragil blieb und die von Reparationsforderungen der Siegermächte des Weltkriegs, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen belastet wurde. Die ungünstige Gesamtgemengelage führte schließlich zum Erstarken der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler, den Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte. Was dann folgte, ist hinlänglich bekannt. All dies hatte selbstverständlich unmittelbaren Einfluss auf den Freistaat Bayern als Teil des Deutschen Reiches. Unrühmlich ist besonders, dass der Nationalsozialismus seine Keimzelle in München hatte und von dort aus erstarkte. Hitlers Machtbesessenheit führte dazu, dass er danach trachtete, weitere Gebiete dem Deutschen Reich einzuverleiben. Neben dem Sudetenland und der sog. „Rest-Tschechei“ marschierten deutsche Soldaten im März 1938 auch in Österreich ein und wurden auf dem Wiener Heldenplatz jubelnd empfangen. Das Königreich Ungarn konnte sich Hitlers direktem Zugriff bis zum März 1944 entziehen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht war Ritter von Horthy weitgehend entmachtet. Nachdem er die Transporte ungarischer Juden nach Auschwitz im Juli 1944 stoppen ließ und am 15. Oktober 1944 Waffenstillstandsverhandlungen mit der Roten Armee aufgenommen hatte, wurde er am Folgetag von der SS gestürzt und in Schloss Hirschberg am Haarsee in der Nähe des oberbayerischen Ortes Weilheim interniert.8 Ungarische Soldaten kämpften mit ihrem Bündnispartner Deutschland gemeinsam im 2. Weltkrieg. Nach Kriegsende wurde Ungarn von der Roten Armee besetzt. Bayern hatte relatives Glück, in der amerikanischen Besatzungszone zu liegen. Durch den alsbald sich entwickelnden Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und der westlichen Hemisphäre entschieden die westlichen Besatzungsmächte, die bereits begonnene Deindustrialisierung Westdeutschlands zu stoppen und dieses als „Bollwerk“ gegen den kommunistischen Osten zu unterstützen. Durch Mittel des sog. „Marshall-Plans“ konnte die deutsche Wirtschaft rasch wachsen. Die Einführung der D-Mark 1948 tat ein Übriges. Bayern profitierte vom wirtschaftlichen Aufschwung zunächst kaum. Das agrarisch geprägte Land tat sich schwer mit einem Neuanfang. Gebietsreform und Ansiedelung von zukunftsweisenden Wirtschaftszweigen in den 1960er- und 1970er-Jahren brachten die Wende hin zum wirtschaftsstärksten Bundesland der Bundesrepublik Deutschland, das Bayern bis heute ist.

Ungarn hingegen wurde Teil des Warschauer Pakts und eine Volksrepublik stalinistischer Prägung. Aufgrund der Zugehörigkeit zu zwei verfeindeten Machtblöcken litten selbstverständlich auch die bayerisch-ungarischen Beziehungen, wenngleich sie niemals abrissen. Viele Flüchtlinge des ungarischen Volksaufstands 1956 fanden auch in Bayern eine neue Heimat.

Nach der politischen Wende 1989/1990 wurden die ungarisch-bayerischen Beziehungen erneuert bzw. vertieft. Viele Partnerstädte künden davon. Ungarn ist nach wie vor ein beliebtes Urlaubsziel vieler Bayern. Viele persönliche Freundschaften zwischen bayerischen und ungarischen Familien, Schüleraustausche und Studenten, die die beiden Länder während Auslandssemestern kennenlernen möchten, sprechen für vitale Beziehungen zwischen beiden Ländern. Bayerische Unternehmen investieren in Ungarn (z. B. Audi in Györ) und gut ausgebildete ungarische Arbeitskräfte leisten einen wertvollen Beitrag für die bayerische Wirtschaft. Nicht zuletzt arbeitet die ungarische Regierung seit langem gut und vertrauensvoll mit der Bayerischen Staatsregierung zusammen.

Die Tragfähigkeit von mehr als 1000 Jahren gemeinsamer Geschichte ist über so manchen tagespolitischen Streit erhaben. Das sollte uns jedoch nicht zu leichtfertigem Umgang mit unserem historischen und kulturellen Erbe verführen. Die Familie des Autors dieses Artikels kann mit Freude und Stolz auf eine mehr als 40-jährige Freundschaft mit einer ungarischen Familie zurückblicken. Diese zu pflegen war und ist für beide Seiten ein großer Gewinn.

Eine deutsche Bank macht seit einigen Jahren Werbung mit dem Slogan: „Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche sondern die Weitergabe des Feuers.“ Sie hat recht! Gestalten wir im Wissen um unsere gemeinsamen geschichtlichen und kulturellen Wurzeln eine gute, gemeinsame Zukunft, die die Beziehungen unserer beiden Nationen immer weiter vertieft!

Georg Frankenfeld, 24.8.2016

1 Friedrich Prinz: Die Geschichte Bayerns, Piper-Verlag München, 1997

3 György Dalos: Ungarn in der Nußschale, Ein Jahrtausend und zwanzig Jahre, Geschichte meines Landes, Verlag C. H. Beck, München, 2012

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